Notiz: Bücherverwertungsstelle Wien
Die Bücherverwertungsstelle Wien wurde im September 1938 beim Reichspropagandaamt Wien eingerichtet. Ihr Ziel war es, die seit dem "Anschluss" Österreichs von SD und Gestapo beschlagnahmten Buchbestände aus Privatbibliotheken, aufgelösten Verlagen und zwangsweise geschlossenen Buchhandlungen zu sichten und an Bibliotheken des Deutschen Reichs zu verteilen. Um sie zu leiten, wurde Albert Paust (1889-1964), der Leiter der Erwerbungsabteilung der Deutschen Bücherei Leipzig, nach Wien abgeordnet. Bei der Sichtung der Bände unterschied Paust zwischen "verwertbarem" Schrifttum und "beschlagnahmtem und unerwünschtem Schrifttum" (z.B. kommunistisch und sozialistische Literatur, jüdisches Schrifttum, antinationalsozialistisches oder sittlich anstößiges Schrifttum). Die Verteilung plante Paust ursprünglich nach dem Vorbild der Reichstauschstelle; allerdings verwarf er dieses Vorhaben im November 1938 zugunsten einer hierachisierten Liste empfangsberechtigter Institutionen. Neben der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, der Deutschen Bücherei Leipzig und den Staatsbibliotheken in München und Berlin umfasste die "Vorläufige Verteilerliste" auch das Hauptarchiv der NSDAP, die Parteiamtliche Prüfungskommission, die Sammlung Rehse in München, das Amt für Sippenforschung, die Antikomintern, das Institut zur Erforschung der Judenfrage in Berlin und das Gauschulungsamt. Auch der SD und das Reichsministerium für Volksaufklärung sollten je ein Exemplar der verteilten Schriften erhalten. Als Paust Ende Mai 1939 nach Leipzig zurückkehrte, waren jedoch nur rund 5.000 Bände bereits verteilt worden (darunter 550 an die Deutsche Bücherei Leipzig). Der Großteil der zum Zeitpunkt seiner Rückkehr noch in der Bücherverwertungsstelle verbliebenen 234.000 Bände wurde später makuliert, und die verbliebenen Restbestände wurden an die Wiener Nationalbibliothek überwiesen, wo sie bis 1945 blieben und danach zum Teil restituiert wurden.
Literatur
Sören Flachowsky, "Zeughaus für die Schwerter des Geistes": Die Deutsche Bücherei Leipzig 1912-1945, Göttingen (Wallstein Verlag) 2018.
Murray G. Hall/Christina Köstner, "... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern..." Eine österreichische Institution in der NS-Zeit. Wien (Böhlau) 2006.
Grit Nitzsche, "Die Bücherverwertungsstelle Wien", in: Regine Dehnel (Hrsg.), Jüdischer Buchbesitz als Raubgut: Zweites Hannoversches Symposium (ZfBB Sonderheft 88), Frankfurt am Main (Klostermann) 2006, S. 67-72.
Text: Emily Löffler (DNB Leipzig, Stand: 19.03.2025)
Verknüpfte Person/Körperschaft
Deutsche Bücherei (Leipzig) (steht in Beziehung mit)